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EHEC-Krise: Krisenmanagement im UKSH

Freitag, 27. Mai 2011

Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein wird auch in Krisensituationen wie der aktuellen EHEC-Epidemie seiner Rolle als Maximalversorger für die Versorgung Schwerstkranker gerecht. Hier stehen die Kräfte der Notaufnahmen sieben Tage die Woche rund um die Uhr bereit, um die Patienten zu versorgen, bei denen andere Krankenhäuser nicht mehr helfen können. Aktuell versorgen die Spezialisten der Campi Kiel und Lübeck 45 Patienten mit dem lebensbedrohlichen hämolytisch-urämischen-Syndrom (HUS).

„Einmal mehr möchten wir uns bei unseren Pflegekräften und Ärzten bedanken, ganz besonders bei den vielen Teams, die von der ersten Stunde an für die Gesundheit der ihnen anvertrauten Patienten auf ihren Dienstschluss verzichtet und viele Tage bis in die Morgenstunden um Menschenleben gekämpft haben“, sagt Prof. Dr. Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender des UKSH. „Hervorheben möchten wir auch die hervorragende Kooperation mit den anderen Krankenhäusern im Land, ohne die diese Epidemie nicht zu bewältigen wäre, ebenso die fächerübergreifende Zusammenarbeit unserer Intensivmedizin, Nephrologie, Gastroenterologie, Neurologie und Mikrobiologie.“

Hochroutiniert haben die verantwortlichen Krisenmanager bereits am vergangenen Sonnabend einen sich abzeichnenden Massenanfall kalkuliert und Personal-, Technik- sowie Raumkapazitäten geplant. Mit Anrollen der Infektionswelle wurden zusätzliche Isolierstationen eingerichtet - bis hin zur Nutzung von Privatstationen - und Maschinen organisiert, die das Blut der an Nierenversagen Erkrankten von Giftstoffen reinigen.

Auf dem Campus Kiel behandeln die Spezialisten heute 27 Patienten mit dem hämolytisch-urämischen-Syndrom (HUS). Auf dem Campus Lübeck sind es 18 Patienten.

HUS ist die schwere Komplikation, die von den EHEC-Bakterien verursacht werden kann und wie eine Kettenreaktion verläuft: Nach der Anheftung der Erreger an die Darmwand lösen diese eine schwere Entzündung aus und produzieren ein Gift (Toxin), welches über den Blutstrom bis in verschiedene Organsysteme wie z.B. die Nieren gelangt. Das Toxin führt dann zum Zerfall der roten Blutkörperchen, zur Aktivierung von Gerinnungsprozessen mit Verbrauch der Blutplättchen und zur teilweisen oder vollständigen Einschränkung der Nierenfunktion. Aber auch andere Organe - insbesondere das zentrale Nervensystem - können bei besonders schweren Verlaufsformen betroffen sein, mit schweren neurologischen Symptomen wie epileptischen Krämpfen. Die komplizierte Verlaufsform HUS betrifft fast ein Drittel der an blutigem Durchfall erkrankten Patienten am UKSH.

Nach der Übertragung auf den Menschen müssen diese Kettenreaktionen deshalb schnellstmöglich gestoppt werden. Im UKSH wird bei betroffenen Patienten das Blutplasma ausgetauscht (Plasmapherese) und das Blut gewaschen (Dialyse).

„Das Zusammenspiel von Forschung und Krankenversorgung verschafft unseren Patienten einen entscheidenden Vorsprung“, sagt Prof. Dr. Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I, Campus Kiel, „die fachübergreifende Vernetzung sorgt für eine hocheffiziente Diagnostik, die Voraussetzung für die richtige Therapie ist. Ein besonderer Vorteil des UKSH ist die große Erfahrung aus dem Exzellenzzentrum Entzündungsmedizin in Kiel und Lübeck, das sich mit derartigen Erregern als Auslöser entzündlicher Erkrankungen intensiv auseinandergesetzt hat.“ Bei besonders schweren Krankheitsverläufen greifen die Ärzte nach Aufklärung und Einwilligung des Patienten zu ganz neuen und aussichtsreichen Mitteln der experimentellen Medizin, die bisher für diese Krankheit nur in einzelnen Fällen angewendet wurden, wie etwa dem Antikörper ‚Eculizumab‘.

Der aktuelle EHEC-Keim ist ein Escherichia-coli-Typ, der anders ist als die bisher bekannten. Er ist ein sogenannter ESBL-Typ. Das bedeutet, dass viele Antibiotika nicht mehr wirksam sind. „Zum Glück haben wir für schwere lebensbedrohliche Fälle, etwa bei septischen Verläufen, noch genügend andere und wirksame Antibiotika in Reserve“, erklärt Prof. Dr. Werner Solbach, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Campus Lübeck. Sein Labor konnte den ESBL-Typ als erstes nachweisen. Das Ergebnis wurde mittlerweile von den Kollegen der Universität Münster bestätigt. In Zusammenarbeit mit Kollegen an der Universität Gießen unter dem Dach des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung wird derzeit mit Hochdruck das Erbgut des Keimes aufgedeckt. Solbach betont, dass für die Therapie von nicht lebensbedrohlichen Infektionen keine Antibiotika eingesetzt werden dürfen. „Nach allem, was wir aus der Vergangenheit wissen, verläuft die Erkrankung durch die Verabreichung von Antibiotika schwerer als ohne. Der Grund ist, dass durch die Antibiotika die Bakterien zerfallen und große Mengen des Toxins freisetzen. Überlebende Keime werden erst recht zur Giftproduktion angeregt“, mahnt Solbach.

Prof. Dr. Ulrich Kunzendorf, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV (Nieren- und Hochdruckkrankheiten) am Campus Kiel, sagt: „Wir sprechen uns mit den anderen sechs Kliniken im Land ab, die Plasmapherese und Dialyse durchführen. Seit Bekanntwerden des ersten EHEC-Falles sind wir mit der Organisation von Dialysegeräten erfolgreich, so dass wir aktuell in der Lage sind, 40 HUS-Patienten am Campus Kiel zu versorgen.“

„Die große personelle Herausforderung besteht darin, die wachsende Zahl der Patienten in der Notaufnahme und auf der Quarantänestation gleichzeitig zu behandeln. Diese außergewöhnliche Leistung ist Ärzten und Pflegekräften neben dem komplexen klinischen Alltag des Maximalversorgers gelungen“, ergänzt Dr. Friedhelm Sayk, Oberarzt der Medizinischen Klinik I am Campus Lübeck (Direktor Prof. Dr. Hendrik Lehnert). Bei milden Verläufen beschränke sich die Therapie auf Infusionen und tägliche Blutkontrollen. „Bei den schweren Fällen stehen wir in ständigem Kontakt mit den Kollegen in der Dialyse. Eine interdisziplinäre Task Force der Internisten und Mikrobiologen analysiert und bewertet täglich die aktuellen Fälle.“

Prof. Dr. Jürgen Steinhoff, Leiter des Bereichs Nephrologie am Campus Lübeck sagt: „Die Dialyseplätze sind zwar knapp, Engpässe gibt es momentan jedoch nicht. Improvisationstalent ist gefragt, denn unsere anderen Dialysepatienten wollen ja auch weiter versorgt werden.“

„Mit unserer Labordiagnostik sorgen wir für den Nachweis des EHEC-Erregers“, erklärt Prof. Dr. Helmut Fickenscher, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin am Campus Kiel. „Darüber hinaus sind wir in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern des Landes und dem Robert-Koch-Institut in Berlin für das gesetzlich vorgeschriebene Meldewesen im Verlauf der EHEC-Krise in Schleswig-Holstein zuständig.“

„Wir sind froh, dass wir als landeseigener Maximalversorger der Gesundheit der Menschen gerade in Krisenzeiten oberste Priorität einräumen können“, sagt Prof. Scholz, „denn durch die Versorgung unserer Patienten mit EHEC entstehen erhebliche finanzielle Nachteile, die ein privater Klinikbetreiber sicherlich zu vermeiden versuchen wird.“

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