Für ein Forschungsprojekt zu digitaler Angsttherapie erhält ein Netzwerk um das Hamburger E-Health-Unternehmen Sympatient eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Höhe von 1,3 Millionen Euro. Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) statt und soll die technische und klinische Machbarkeit einer digitalen, individuell anpassungsfähigen Angsttherapie untersuchen. Auch die Diagnostik soll weitgehend automatisiert und digital ablaufen. Die Förderung erfolgt im Rahmen der Initiative “KMU-innovativ: Medizintechnik”, mit der das BMBF gezielt kleine und mittlere Unternehmen der Medizintechnik und die Integration von Innovationen in die Praxis unterstützen will.
Das Verbundprojekt läuft unter dem Namen “ALISA - Ambulante und leitlinienkonforme Interventionen im Selbstmanagement bei Angststörungen”. Ziel ist es, eine digitale Diagnostik und eine Machine Learning gestützte Angsttherapie zu entwickeln, die auch auf digitalen Biomarkern beruht – Daten, die etwa durch tragbare Sensoren („Wearables“) und digitale Befragungen erhoben werden. So soll eine Behandlung ermöglicht werden, die sich flexibel nach den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten richtet und sich individuell an den Therapieverlauf anpasst.
Digitale Eingangsdiagnostik entlastet Behandelnde und stärkt Patientinnen und Patienten
Behandelnde benötigen viel Zeit für eine individuelle Diagnostik vor dem Beginn einer Therapie. Eine Eingangsdiagnostik, die algorithmisch gesteuert wird, erfasst die Informationen, die zur Einordnung der Symptome benötigt werden, digital. Die Patientin oder der Patient beantwortet zum Beispiel Fragen zum eigenen Gesundheitszustand mittels einer Smartphone-App. Weitere Parameter, die als Verlaufsdiagnostik während der Therapie erhoben werden, können ergänzt werden. Die Therapeutin oder der Therapeut unterzieht die Diagnose, die der Algorithmus ermittelt hat, dann einer vertieften Überprüfung. So sparen Behandelnde wertvolle Zeit, ohne auf eine qualitätsgesicherte Diagnostik verzichten zu müssen.
Automatisierte Therapie in ambulantem Setting
Digitale Therapieprogramme sind derzeit starre Behandlungspfade, die nur oberflächlich an die Bedürfnisse und Symptomatik einzelner Patientinnen und Patienten angepasst werden können. Die im Projekt entwickelte Methode soll es ermöglichen, den Erkrankten die Behandlung von Angststörungen in Form einer ambulanten, digitalen Therapie anzubieten. Im Projekt wird der Therapiepfad und -ablauf durch Algorithmik vollständig individualisiert auf die Erkrankten zugeschnitten. Diese Therapie baut auf den gewonnenen Erkenntnissen der digitalen Gesundheitsanwendung “Invirto” auf. Ergänzend misst ein Virtual Reality-Headset mit integrierter Biosensorik für die Expositionsbehandlung relevante Parameter und bezieht diese zur Anpassung der Therapie mit ein. So kann das Programm frühzeitig auf Krisen hinweisen und zu einer rechtzeitigen Abklärung beitragen. Ziel ist es, Patientinnen und Patienten eine bessere Prognose durch stärkere Flexibilität und Personalisierung zu bieten.
Dr. Bartosz Zurowski, Oberarzt und Leiter des Behandlungsschwerpunktes Angst- und Zwangsstörungen sowie Depressionen am Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZiP) des UKSH, sagt: „Die Versorgungslage für Patientinnen und Patienten mit Angststörungen hat sich seit der Corona-Pandemie eher noch weiter angespannt: Ein hoher Bedarf an einer zeitnahen, störungsspezifischen Behandlung trifft auf Einschränkungen in der Umsetzung einer adäquaten Therapie mit Elementen der Konfrontation mit angstauslösenden Situationen. Mit unserer Forschungsarbeit wollen wir die Datenlage im Bereich der digital gestützten Diagnostik und Therapie verbessern und dazu beitragen, Psychotherapeutinnen und -therapeuten künftig in ihrem Arbeitsalltag zu unterstützen und entlasten.”
Prof. Dr. Lena Jelinek, Leitung Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie und Arbeitsgruppe Angst- und Zwangsstörungen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), sagt: „Über den bisherigen Pandemieverlauf wurden durchgehendend Menschen mit Angststörungen in unserer Klinik behandelt. Trotz eindeutigem Behandlungsbedarf kann es aber zu Wartezeiten kommen und einige Menschen scheuen auch, zum Beispiel aus Angst vor Ansteckung, einen Aufenthalt oder Besuch in der Klinik. Hier Alternativen gegenüber klassischen Diagnostik- und Therapiemodellen zu entwickeln, ist uns ein großes Anliegen.“
Julian Angern, Mitgründer der Sympatient GmbH, sagt: „Die anpassungsfähige digitale Therapie, die auch eine digitale Diagnostik integriert, ist in dieser Form bisher einzigartig. Sie kann entscheidend dazu beitragen, die Versorgung von jährlich rund vier Millionen unbehandelter Patientinnen und Patienten mit Angststörungen zu verbessern, weil sie eine individuelle Behandlung ermöglicht, die zeitlich und örtlich unabhängig stattfinden kann. Gleichzeitig bleibt die Qualität dank einer wiederholten Einbindung von Behandelnden immer gewährleistet. Angesichts der aktuellen, schwierigen Versorgungslage während der Pandemie besitzt dieses Versorgungsmodell unserer Ansicht nach großes Potenzial.”
Das Projekt “ALISA” läuft bis Mai 2024 BMBF-gefördert als Teil des Aktionsfelds “Gesundheitswirtschaft im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung” unter dem Förderkennzeichen FKZ 13GW0464A. Nach der Konzeption, der Erarbeitung der technischen Grundlagen und der Inhalte bis Ende 2022 ist der Abschluss der Studie zur Validierung für 2024 geplant.
Hintergrund zur Versorgungssituation
Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. In Deutschland sind etwa 5,6 Millionen Menschen jährlich von einer behandlungswürdigen Angststörung wie einer Agoraphobie, Panikstörung oder sozialen Phobie betroffen. Laut Studien sind die Fallzahlen während der Pandemie stark gestiegen. Jedoch erhalten nicht alle Betroffenen eine adäquate Therapie. Dies ist insbesondere durch einen Mangel an Therapeutinnen und Therapeuten und daraus folgenden hohen Wartezeiten begründet sowie durch die hohe Stigmatisierung. Etwa 75 Prozent der Betroffenen (4,2 Millionen) bleibt somit unbehandelt.
Über Sympatient
Sympatient entwickelt die erste Digitalklinik für Angststörungen und versorgt Patientinnen und Patienten mit digitaler Psychotherapie. Das Unternehmen mit Sitz in Hamburg entstand aus einer wissenschaftlichen Studie am UKSH und wurde 2017 von Christian Angern, Julian Angern und Benedikt Reinke gegründet. Hauptprodukt ist die Invirto-Therapie, die weltweit erste digitale Psychotherapie gegen Angststörungen für zu Hause, die nach Goldstandard behandelt. Die digitale Psychotherapie mit Invirto ist als Digitale Gesundheitsanwendung zugelassen und kann auf Rezept verordnet werden. Die Kosten übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Gefördert von der Hansestadt Hamburg, gewann das Start-up im September 2019 den Hamburger Gründerpreis. Sympatient gehört zu den Top 3 des Deutschen Gründerpreises 2021 und wurde mit dem German Startup Award 2021 ausgezeichnet. www.sympatient.com
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Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Lübeck
Dr. Bartosz Zurkowski, Tel.: 0451 500-98831, bartosz.zurowski@uksh.de
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Christian Angern, Tel.: 0176 70815279, press@sympatient.com
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