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Mögliche molekulare Ursache vieler Krankheiten aufgedeckt

Mittwoch, 08. Februar 2023

Die sehr seltene Erkrankung eines Kindes führte Forschende des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) zu der Entdeckung eines neuen Mechanismus in menschlichen Zellen, der auch Krebs und anderen Volkskrankheiten zugrunde liegen könnte. Dabei sorgen genetisch veränderte Proteine dafür, dass sich tröpfchenartige Strukturen im Zellkern („zelluläre Kondensate“) verfestigen und die Lebensfunktionen der Zellen beeinträchtigen. „Unsere Erkenntnisse helfen dabei, die Ursachen vieler Krankheiten aufzuklären und mögliche Therapien zu entwickeln“, sagt Prof. Dr. Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik des UKSH und der Universitäten in Kiel und Lübeck, einer der Hauptautoren der Studie. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit, an der auch das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG) in Berlin und die Charité – Universitätsmedizin Berlin federführend beteiligt waren, sind in Nature erschienen, einem der weltweit anerkanntesten Fachmagazine.

Bei einer Ultraschall-Untersuchung hatte Prof. Dr. Christel Eckmann-Scholz, Leitende Ärztin des Universitären MVZ Kiel für Spezialdiagnostik und genetische Medizin, Fehlbildungen eines ungeborenen Kindes bemerkt, „bei denen wir nicht sagen konnten, ob sie je in der Fachliteratur beschrieben worden waren.“ Sie zog Fachleute der Humangenetik am Campus Kiel hinzu, die sich mit Kolleginnen und Kollegen in Berlin austauschten. Es stellte sich heraus, dass das Kind die gleichen Auffälligkeiten zeigte wie eine Patientin aus Hongkong, bei der Prof. Spielmann zehn Jahre zuvor eine Genanalyse durchgeführt hatte. In weltweiten Datenbanken spürten Prof. Spielmann und ein Berliner Team nun drei weitere dokumentierte Fälle der extrem seltenen Krankheit auf, bei der Fehlbildungen an den Gliedmaßen, im Gesicht und im Nerven- und Knochensystem auftreten, und entschlüsselten das Genom der Betroffenen. Die Genetikerinnen und Genetiker fanden dabei Mutationen, die zu einem fehlerhaften Bauplan für einen Teil eines bestimmten Proteins führen.

Weitere Forschung am MPIMG zeigte, dass das mutierte Protein zu tropfenartigen Gebilden im Zellkern, Kondensaten, hingezogen wird und dort für eine Verklumpung sorgt. In der Folge werden zahlreiche zelluläre Programme während der Embryonalentwicklung fehlgesteuert und es kommt zu angeborenen Fehlbildungen. Der Mechanismus, den die Forschenden entdeckten, scheint vielen weiteren Erkrankungen zugrunde zu liegen. Im Rahmen der Arbeit fand das Team mehr als 600 ähnliche Mutationen in anderen Proteinen. Rund 100 der Veränderungen stehen mit Krebs, Knochen-, Atemwegs- und anderen Erkrankungen in Verbindung.

„Diese Erkenntnisse konnten wir nur durch die fachübergreifende enge Zusammenarbeit eines Teams von Expertinnen und Experten erlangen“, sagt Prof. Spielmann. „Universitäre Spitzenmedizin hat die exzellente Diagnostik und Versorgung des schwerkranken Kindes am UKSH ermöglicht. Durch das Zusammenspiel von klinischer Medizin und biologischer Grundlagenforschung konnten wir unser Verständnis für viele genetisch bedingte Krankheiten erweitern und einen neuen molekularen Krankheitsmechanismus aufdecken.“

Originalpublikation

Martin A. Mensah, Henri Niskanen, et al. Aberrant phase separation and nucleolar dysfunction in rare genetic diseases, Nature 2023 Feb 08. doi: 10.1038/s41586-022-05682-1. https://www.nature.com/articles/s41586-022-05682-1

Pressebild

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Hohe Expertise und fachübergreifende Zusammenarbeit ermöglichten die Diagnostik und Versorgung einer seltenen Krankheit und ein neues Verständnis molekularer Mechanismen:
PD Dr. Jörg Moritz, Leiter Kinderradiologie der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie, Campus Kiel, Prof. Dr. Christel Eckmann-Scholz, Leitende Ärztin des Universitären MVZ Kiel für Spezialdiagnostik und genetische Medizin, Prof. Dr. Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik und Prof. Dr. Almuth Caliebe, stellvertretende Direktorin des Instituts sowie Prof. Dr. Paul Martin Holterhus, Leiter des Bereichs Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Klinik für Kinder und Jugendmedizin I, Campus Kiel (v. l.). Teil des Teams war auch Dr. Ann Carolin Longardt, oberärztliche Leitung der Neonatologie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin I, Campus Kiel. (nicht auf dem Bild)

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