Nationales Forschungsteam stellt neue Erkenntnisse zum Tourette- Syndrom vor: Nicht alles, was ein Tic ist, ist Tourette. Nach der Corona- Pandemie haben sogenannte „funktionelle Tic-ähnliche Beschwerden“ drastisch zugenommen. Viele Patient:innen wurden falsch diagnostiziert. Es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten.
• Funktionelle Tic-ähnliche Störungen wie “auf den Tisch hauen“, „anderen ins Essen greifen“ oder „sich selbst auf den Oberkörper schlagen“ haben nach der Pandemie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit stark zugenommen
• Neues Aufklärungsvideo über den Unterschied zwischen „Tics / Tourette“ und funktionellen Tic-ähnlichen Störungen ist online
• Tic-ähnliche Störungen sind sehr gut behandelbar
Ein Forschungsteam der Uniklinik Dresden, der Universität zu Lübeck, des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) sowie der Universität Trier bietet neue Erkenntnisse zu Tics und den ebenfalls häufigen funktionellen Tic-ähnlichen Störungen an. „Nach der Pandemie haben nicht nur in Deutschland, sondern weltweit die Zahl der Tic-ähnlichen Störungen drastisch zugenommen“, stellt Prof. Dr. rer. nat Christian Beste vom Universitätsklinikum Dresden fest. „Da die Diagnosestellung häufig nicht einfach ist, haben wir in den letzten Jahren dazu intensiv geforscht, um den Menschen zu helfen“, erklärt Frau PD. Dr. Anne Weißbach, Universität zu Lübeck und UKSH.
Nicht alle Extrabewegungen und plötzliche Laute wie Schimpfwörter oder Armzucken sind Tics/Tourette. Dies hat in den letzten Jahren zu Verwirrungen geführt. „Klinische Untersuchungen haben gezeigt, dass funktionelle Tic-ähnliche Störungen vom Tourette- Syndrom unterschieden werden können. Hierzu gibt es mittlerweile auch international einen Konsens“, erklärt Prof. Dr. Alexander Münchau, Universität zu Lübeck und UKSH und Mitbegründer der „Agentur für Überschüsse“. „Tourette beginnt im Kindesalter, die Tics sind zu einem gegebenen Zeitpunkt gleich, sind kurz und abrupt und treten verstärkt auf, wenn Betroffene allein sind.“ Dahingegen beginnen funktionelle Tic- ähnliche Störungen „meist erst ab der Pubertät, treten üblicherweise in der Öffentlichkeit auf, sind variabel und komplexer“. „Die Handlungsprozesse, die Tics zugrunde liegen, sind gar nicht so anders, als diejenigen, die wir beim Greifen nach einer Tasse Kaffee verwenden,“ erklärt Prof. Dr. Christian Frings von der Universität Trier.
Merkmale
Funktionelle Tic-ähnliche Störungen
- beziehen sich auf eine Situation
- sind variabel
- komplexer
- vermehrt in der Öffentlichkeit
- treten v.a. an Rumpf und Armen auf
- beginnen nach der Pubertät
Beispiel: komplexe (Arm-)bewegungen
- gesprochene ganze Wörter/Sätze
Tics / Tourette
- sind kontextlos
- Tics sind zu einem gegebenen Zeitpunkt gleich
- kurz und abrupt
- Zunahme, wenn allein
- treten v.a. an Gesicht / Kopf / Schulter
- beginnen im Kindesalter
Beispiel: Blinzeln, Augen zusammenkneifen
- Hüsteln, Räuspern, Fiepen
Neues Aufklärungsvideo „Nicht alles was zuckt, ist Tourette“
Um ein Bewusstsein für die Unterscheidung zu schaffen und verständlich eine Orientierung zu bieten, gibt es von der 2011 gegründeten „Agentur für Überschüsse“
- ein Neurologie-Performance-Netzwerk bestehend aus Ärzten und Kreativen - ein neues Aufklärungsvideo „Nicht alles was zuckt, ist Tourette“, das leicht verständlich den Unterschied zwischen Tourette und funktionellen Tic-ähnlichen Störungen darstellt. Tom aus Ticcing, Protagonist des Videos und selbst eine von Tourette betroffene Person, ist im Auftrag der „Agentur für Überschüsse“ unterwegs. Er kümmert sich um Tics, aber auch um Bewegungsstörungen, die aussehen wie Tourette, aber nicht Tourette sind.
Christina Bolte, Psychologin von der Universität zu Lübeck/UKSH erklärt, „dass Tic- ähnliche Störungen gut durch Physiotherapie und manche Formen der Verhaltenstherapie behandelbar sind. Dies trifft vor allem für aufmerksamkeitsbasierte Verfahren zu. Hierzu zählen Behandlungsansätze, bei denen die bewusste Verlagerung der Aufmerksamkeit von Patient:innen im Zentrum steht (z. B. metakognitive Therapie).“
Das Video „Nicht alles was zuckt, ist Tourette“ ist abrufbar über https://ueberschuesse.net/de/projekte/
Mehr Informationen und Ratgeberlinks auf der Website der „Agentur für Überschüsse“ www.ueberschuesse.net
Über das Nationale Forschungsteam (Dresden, Lübeck, Trier)
Die gemeinsame Forschungsgruppe der Technischen Universität Dresden, von der Universität zu Lübeck, dem UKSH sowie der Universität Trier wurde 2019 gegründet und erforscht das Tourette Syndrom. Sie besteht unter anderem aus Prof. Dr. rer. nat Christian Beste (Uniklinikum Dresden), Psychologin Tina Rawish (Universität zu Lübeck und UKSH), Psychologin Christina Bolte, Dr. med. Theresa Paulus (Universität zu Lübeck und UKSH), PD Dr. med. Anne Weissbach (Universität zu Lübeck und UKSH), Prof. Dr. med. Alexander Münchau (Universität zu Lübeck und UKSH) und Prof. Dr. Christian Frings (Universität Trier).
Agentur für Überschüsse
Die Agentur für Überschüsse wurde 2011 gegründet und vermittelt mit kreativen Formaten aktuelle Forschungsstände der Neurologie an ein breites und buntes Publikum. Dabei sind ihre Projekte, wie etwa 2022 die Produktion des Dokumentarfilms TICS, auf Aufklärung, Empowerment und Kommunikation ausgerichtet.
Tourette-Syndrom
Das Tourette-Syndrom ist nach dem französischen Nervenarzt Dr. Georges Gilles de la Tourette benannt. In Deutschland sind von der überwiegend genetisch bedingten neuropsychiatrischen Krankheit ca. 40.000 Menschen betroffen. Die Symptome sind individuell sehr unterschiedlich. Hauptmerkmale sind einfache motorische Tics wie Augenblinzeln, Zwinkern, Kopfbewegungen, Schulterbewegungen und einfache vokale Tics wie Räuspern, Fiepen oder einzelne Laute.“
Pressetext: Büro Möller www.bueromoeller.de
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