Was ist das Ziel der Studie?
Die Therapieoptimierungsstudie AIEOP-BFM ALL 2017 ist für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) im Alter von 0 bis 17 Jahren konzipiert. Für die Durchführung der Studie haben sich auf dem Gebiet der ALL spezialisierte Kinderärzte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Tschechien, der Slowakei, Israel und Australien zusammengeschlossen. Sie haben ein gemeinsames Therapiekonzept entwickelt, das auf den Ergebnissen und Erfahrungen aus den vorangegangenen Therapiestudien beruht.
Die Studie hat zum Ziel, die Chemotherapie durch eine Verbesserung der Heilungsrate und die Reduzierung von Therapienebenwirkungen zu optimieren.
Was bedeutet „Einteilung in Risikogruppen“?
Die Einteilung der Patienten in Gruppen in Abhängigkeit von definierten Risikofaktoren ermöglicht es, diese Ziele zu kombinieren: Für bestimmte Patienten mit voraussichtlich guter Prognose soll die Chemotherapie weiter reduziert werden, um so auch das Risiko schwerer therapiebedingter Nebenwirkungen zu senken. Ist nach Erfahrung der letzten Studien aufgrund von Risikofaktoren eine schlechtere Heilungsrate bzw. ein höheres Rückfallrisiko zu erwarten, soll dies durch die Intensivierung der Therapie verbessert werden.
Mit der Studie sind verschiedene wissenschaftliche Begleitforschungsprojekte verknüpft, deren Ziel es ist, die Biologie der Erkrankung und die Mechanismen der Krankheitsentstehung besser verstehen zu lernen, um neue Medikamente, Therapieansätze oder diagnostische Methoden zu entwickeln.
Wie erfolgt die Therapie in den unterschiedlichen Risikogruppen?
In Abhängigkeit von der Risikogruppe erhalten die Patienten eine etwas unterschiedliche Therapie. Dabei wird die Therapie in vier wesentliche Abschnitte unterteilt:
Vor- und Induktionsphase:
Nach einer einwöchigen Vorphase mit dem Medikament Prednison (ein Cortison-Präparat) erhalten alle Patienten im ersten Therapieabschnitt die intensive Therapiephase „Protokoll IA“, die etwa 4 Wochen dauert.Konsolidierungsphase:
Im zweiten Therapieabschnitt erhalten die Patienten die sogenannte Konsolidierungsphase (von konsolidieren, festigen), die in den verschiedenen Behandlungsgruppen etwas unterschiedlich aussieht.Intensivierungsphase:
Ab dem dritten Therapieabschnitt unterscheidet sich die Therapie für die Patienten der Hochrisikogruppe (HR) entscheidend von der Therapie für die Patienten, die nicht der Hochrisikogruppe zugeteilt wurden (T-ALL: non-HR; B-ALL: SR oder MR). Patienten, die nicht der HR-Gruppe angehören, erhalten das sogenannte „Protokoll M“ (8 Wochen), gefolgt von „Protokoll II“ (7 Wochen) (siehe Abbildung 1). Zwischen „Protokoll M“ und „Protokoll II“ sind ungefähr 2 Wochen Therapiepause vorgesehen.
Patienten der HR-Gruppe erhalten stattdessen drei kurze, aber sehr intensive Therapieblöcke („HR-Blöcke“), die im Abstand von 3 bis 4 Wochen gegeben werden (siehe Abbildung 1). In dieser Phase können Patienten mit B-ALL an der Randomisierung R-HR teilnehmen. Darauf folgt die Therapiephase „Protokoll III“ (4 Wochen) mit anschließender kurzer Erhaltungstherapie („Interim“-Erhaltungstherapie) über 4 Wochen. „Protokoll III“ wird insgesamt dreimal verabreicht. Zwischendurch gibt es immer wieder Therapiepausen, damit sich der Körper erholen kann. Für einen Teil der Hochrisikopatienten wird eine Knochenmarktransplantation (Stammzelltransplantation) empfohlen, die meistens nach dem 3. HR-Block durchgeführt wird und nicht Teil der Studie AIEOP-BFM ALL 2017 ist (siehe Abbildung 1). Bei sehr wenigen Patienten lässt sich die Leukämie leider auch noch nach dem 3. HR-Block nachweisen. Diese Patienten bekommen vor der Knochenmarktransplantation eine noch weiter intensivierte Chemotherapie mit dem Therapieelement „DNX-FLA“.Erhaltungstherapie:
Allen Patienten, die keine Knochenmarktransplantation erhalten, wird nach Abschluss der intensiven Therapiephase eine sogenannte Erhaltungstherapie verabreicht. Zwei Jahre nach Therapiebeginn ist die Chemotherapie dann abgeschlossen.
Für einige Patienten, die ein höheres Risiko haben, einen Rückfall im Gehirn (zentrales Nervensystem) zu erleiden, ist außerdem eine Bestrahlung des Schädels am Ende der Intensivtherapie vorgesehen.
Was heißt Randomisierung?
Ein Grundprinzip der Therapieoptimierungsstudien besteht darin, neue Therapieelemente kontrolliert gegen die übliche Therapie zu prüfen. Für diese neuen Therapieelemente besteht aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse die gut begründete Annahme, dass sie einen Vorteil gegenüber der bisher verabreichten Therapie haben. Um dies mit einem möglichst hohen Maß an Kontrolle und Sicherheit beweisen zu können, ist ein kontrollierter Vergleich des „alten“ Therapiearmes (Kontrollarm) mit dem „neuen“ Therapiearm (Prüfarm) notwendig. Dafür werden die Patienten per Zufallsentscheidung einem der beiden Arme zugeteilt (Kontrollarm oder Prüfarm). Dieses Vorgehen, das mit dem Werfen einer Münze vergleichbar ist, wird durch ein Computerprogramm vorgenommen und wird Randomisierung genannt.
Welche Randomisierungen gibt es in dieser Studie?
In der Studie AIEOP-BFM ALL 2017 sind vier Randomisierungen vorgesehen:
Randomisierung R-T
Diese Randomisierung wird bei Patienten durchgeführt, die mit einer T-ALL der Behandlungsgruppe „early non-SR“ zugeteilt wurden. Es konnte gezeigt werden, dass die Therapie, die während der Konsolidierungsphase im zweiten Therapieabschnitt verabreicht wird („Protokoll IB“), insbesondere für Patienten mit T-ALL sehr wirkungsvoll ist. Daher soll geprüft werden, ob mit einer Verlängerung von „Protokoll IB“ die Behandlungserfolge verbessert werden können.
Randomisierung R-eHR
An dieser Randomisierung dürfen Patienten mit einer B-ALL der Behandlungsgruppe “early HR“ teilnehmen. Auch diese Randomisierung findet in der Konsolidierungsphase (zweiter Therapieabschnitt) statt. In dieser Randomisierung soll die Chemotherapie mit dem Medikament Bortezomib kombiniert werden. Bortezomib wird bei der ALL als relativ neues Medikament eingesetzt und hat einen ganz anderen Wirkmechanismus als die Chemotherapie. Es soll die Wirkung der Chemotherapie ergänzen und verstärken, womit das Ansprechen auf die Therapie verbessert und Rückfälle der ALL vermindert werden sollen.
Randomisierung R-HR
Diese Randomisierung ist für Patienten mit B-ALL der Behandlungsgruppe HR vorgesehen und wird im dritten Therapieabschnitt, der Intensivierungsphase, durchgeführt. Die Patienten der HR-Gruppe haben ein hohes Risiko, einen Rückfall der ALL zu bekommen, weswegen sie im Hochrisiko-Therapiearm eine sehr intensive Therapie mit den sogenannten HR-Blöcken bekommen. Die meisten HR-Patienten sprechen gut auf diese Therapie an, bei anderen Patienten reagieren die Leukämiezellen aber leider nicht ausreichend. Außerdem sind die HR-Blöcke sehr nebenwirkungsreich, so dass die Patienten in dieser Therapiephase nicht selten schwere Komplikationen erleiden. In der Randomisierung R-HR soll das Medikament Blinatumomab zum Einsatz kommen. Blinatumomab ist ein Antikörper, der seit einigen Jahren in Studien für Patienten mit ALL Anwendung findet und sehr vielversprechende Resultate zeigt. Da die Wirkungsweise von Blinatumomab gänzlich anders ist als die der Chemotherapie, hoffen wir, dass auch die Patienten einen Vorteil von Blinatumomab haben werden, deren Leukämie schlecht auf die Chemotherapie angesprochen hat. Zudem ist zu erwarten, dass es unter Blinatumomab weniger schwere Nebenwirkungen geben wird als unter den HR-Blöcken. In der Randomisierung R-HR sollen zwei HR-Blöcke durch die Therapie mit Blinatumomab ersetzt werden mit dem Ziel, die Leukämie-Rückfälle zu verringern und gleichzeitig weniger Nebenwirkungen durch die Therapie zu haben.
Randomisierung R-MR
Diese Randomisierung wird bei Patienten mit B-ALL der Behandlungsgruppe MR durchgeführt. Obwohl diese Patienten gut auf die Chemotherapie angesprochen und insgesamt ein recht niedriges Risiko für einen Rückfall haben, treten auch in dieser Gruppe immer wieder Rückfälle auf. Diese Rückfälle können durch eine Intensivierung der Chemotherapie anscheinend nicht verhindert werden, wie die Ergebnisse mehrerer Studien in den letzten Jahrzehnten zeigen. Es wird vermutet, dass die Rückfälle aus minimalen Mengen verbliebenen Leukämiezellen hervorgehen, die besondere Schutzmechanismen haben und sich so der Wirkung der Chemotherapie entziehen können. Auch in dieser Randomisierung soll das Medikament Blinatumomab zum Einsatz kommen. Es soll den Patienten im vierten Therapieabschnitt verabreicht werden, bevor sie in die lange Phase der Erhaltungstherapie gehen. Mit der besonderen Wirkweise von Blinatumomab als Antikörper sollen die Schutzmechanismen der restlichen Leukämiezellen überwunden und Rückfälle damit verhindert werden.