Angeborene Fehlbildungen im Bereich der Kopf-Hals-Region können durch äußere Einflüsse während der Embryonalentwicklung entstehen, oder sie sind erblich bedingt. Für die betroffenen Eltern ist die Fehlbildung des Neugeborenen häufig ein schockierendes Erlebnis. Das Kind empfindet die psychische Belastung und die physische Beeinträchtigung zunächst noch nicht. Trotzdem sollten Fehlbildungen so frühzeitig wie möglich behandelt werden, um durch die entsprechend erforderlichen Operationen sowohl notwendige ästhetische Korrekturen des Gesichtes zu erreichen als auch optimale Voraussetzungen für das regelrechte weitere Wachstum zu schaffen. Funktionell richtet sich das Augenmerk der Operationstechniken darauf, dem Kind zu ermöglichen, richtig kauen, schlucken und sprechen zu lernen - eine Voraussetzung, um möglichen späteren psychischen oder sozialen Beeinträchtigungen vorzubeugen.
Die entsprechenden Behandlungsverfahren erfordern eine genaue Kenntnis der komplexen anatomischen Strukturen des Gesichtsschädels (Knochen und Weichteile) und die Kenntnis darüber, wie Strukturen und Funktionen zusammenhängen und welche Veränderungen im Laufe des weiteren Wachstums des Kindes zu berücksichtigen sind.
Für die überwiegende Anzahl der angeborenen Fehlbildungen erlauben die plastisch-rekonstruktiven Operationsverfahren in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie heute eine nahezu vollständige Normalisierung von Funktion und Form. Bei speziellen komplexen Fehlbildungen erfolgt die Therapieplanung und gegebenenfalls gemeinsame chirurgische Behandlung in der Kiefer- und Gesichtschirurgie im Klinikum Lübeck in Zusammenarbeit mit benachbarten Fachdisziplinen wie z.B. den Neurochirurgen, den Augenärzten oder den Hals-Nasen-Ohren-Ärzten.
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG) gehören zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Von 500 Babys kommt im Schnitt eines mit dieser Anomalie zur Welt. Jungen sind dabei etwas häufiger betroffen als Mädchen. Man unterscheidet ein- und beidseitige LKG (ca. 50%), isolierte Spaltbildungen des harten und/ oder weichen Gaumens (ca. 30%) und isolierte Lippen- oder Lippen-Kieferspalten (ca. 20%). Nur ein kleiner Teil der Spaltbildungen ist vererbt. Bei der Mehrzahl der Neugeborenen sind die zur Spaltbildung führenden Faktoren nicht bekannt.
Besteht bei einem Neugeborenen eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, ist dies zumindest bei Vorliegen einer Lippenspalte für die Umwelt sichtbar, für den Säugling selbst in der Regel aber nicht mit einer unmittelbaren Gefährdung verbunden. Das heißt, sowohl die Atmung als auch die Nahrungsaufnahme sind möglich. Ein Neugeborenes ist in der Lage, auch bei Vorliegen einer solchen Spaltenbildung zu saugen, bzw. gestillt zu werden. In der weiteren Entwicklung können die Nahrungsaufnahme, das Gehör, die Kiefer- und Gesichtsentwicklung und insbesondere die Sprachentwicklung beeinträchtigt sein. Die chirurgische Behandlung, die das Ziel verfolgt, die vorliegenden Spaltbildungen zu verschließen und gleichzeitig möglichst wenig Störungen des weiteren Wachstums zu verursachen, beginnt heute im Säuglingsalter und beinhaltet je nach Ausprägung der Fehlbildung eine Abfolge von Operationen, die bis ins frühe Erwachsenenalter reichen können. In der Regel erfordern die einzelnen Operationsschritte nur einen kurzen stationären Aufenthalt von ca. 2-4 Tagen. Grundsätzlich bedarf die Therapie von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten der engen, interdisziplinären Zusammenarbeit von Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen, Kieferorthopäden, Zahnärzten, Pädaudiologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten und Kinderärzten. Gegebenenfalls kann auch eine Mitbehandlung durch Logopäden notwendig werden.
Im Behandlungskonzept unserer Klinik ist der frühzeitige Lippenverschluss sowie die Behandlung der Verformung des Naseneinganges im Alter von ca. 2 - 3 Monaten der erste Behandlungsschritt. Der operative Verschluss des weichen Gaumens erfolgt mit 10 - 12 Monaten, bevor die Sprachentwicklung beginnt, der des harten Gaumens mit 3 - 5 Jahren. Der knöcherne Verschluss der Kieferspalte wird, dem Durchbruch der bleibenden Zähne Rechnung tragend, im Alter von ca. 9 - 11 Jahren durchgeführt.
Weiterhin können zusätzliche Operationen zur Verbesserung der Sprache, zur Korrektur von Kieferfehlstellungen oder auch der Nasenform erforderlich sein. Operationszeitpunkt sowie die Möglichkeiten und Grenzen der chirurgischen Verbesserung von Funktion und Form bedürfen dabei einer individuellen Beratung. Grundsätzlich sind auch im Erwachsenenalter entsprechende Korrekturoperationen möglich.
Andere angeborene Fehlbildungen des Gesichtes oder des Schädels sind sehr viel seltener, in ihrer Ausprägung sehr verschieden und bedürfen ebenfalls einer entsprechend individuellen Beratung und Therapieplanung.
Chirurgische Hilfseinsätze in Entwicklungsländern und in Krisengebieten