In Schleswig-Holstein gibt es eine lange und erfolgreiche Tradition, Biomaterial von Patienten und Teilnehmern an wissenschaftlichen Studien zu sammeln, aufzubewahren und für die medizinische Forschung zu nutzen.
Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt dieser Aktivitäten war und ist die Biobank popgen, die 2003 am damaligen Universitätsklinikum Kiel (heute: Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, kurz UKSH, Campus Kiel) ins Leben gerufen und zunächst vom Nationalen Genomforschungsnetzwerk finanziert wurde. Mittlerweile haben sich mehr als 80.000 Spender beteiligt und popgen zu einer der größten bevölkerungsbasierten Biobanken in Europa gemacht. Der Basisbetrieb von popgen wird derzeit aus Mitteln des Bundeslandes Schleswig-Holstein bzw. der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) finanziert. Popgen umfasst aktuell ca. 40 einzelne Biomaterial- und Datensammlungen. Neben krankheitsbezogenen Gruppen befindet sich darunter auch eine sogenannte „Kontrollkohorte“, die als Referenzstichprobe genutzt und kontinuierlich wissenschaftlich begleitet wird.
Neben popgen verfügen auch andere Einrichtungen am UKSH und in Schleswig-Holstein über wissenschaftlich bedeutende Biobanken:
Das Institut für Pathologie der CAU unterhält am UKSH Campus Kiel drei nationale Sammelstellen (Amyloid-Register, Lymphknoten-Register, Kinder-Tumor-Register) mit mehr als 250.000 Gewebeproben und zugehörigen klinischen Daten.
Das Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie der CAU befasst sich mit der Wirkungsweise von Arzneimitteln, insbesondere in den Bereichen Onkologie, Immunologie und Neurologie, um Phänomene wie Überempfindlichkeit oder Therapieresistenz besser zu verstehen.
Das Institut für Experimentelle Tumorforschung der CAU betreibt zusammen mit der Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Thorax-, Transplantations- und Kinder-Chirurgie des UKSH Campus Kiel seit 1999 die onkologische Biobank TRIBanK (Translationale Interdisziplinäre Biobank Kiel). Hierbei werden Gewebeproben solider Tumoren zusammen mit peritumoralem nicht-malignen Gewebe gesammelt - sowie Flüssig-Proben wie Blut, Urin, und Stuhlproben von Patienten mit Krebserkrankungen und und auch von Patienten mit nicht-malignen Erkrankungen.
Die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin II am UKSH Campus Kiel mit ihrem Schwerpunkt Neuropädiatrie erforscht die genetischen Grundlagen der Epilepsie im Kindes- und Jugendalter und verwendet hierzu umfangreiche Sammlungen von DNA-Proben.
Das Forschungszentrum Borstel, mit dem die CAU eng kooperiert, betreibt gemeinsam mit der LungenClinic Großhansdorf sowie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und der Medizinischen Klinik III am UKSH Campus Lübeck die Biobank Nord, in der umfangreiches Biomaterial von Patienten mit Lungenerkrankungen (z.B. Tuberkulose, Asthma und Allergien) gesammelt wird.
Die CAU hatte sich 2011 erfolgreich um eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) beworben, um in Schleswig-Holstein bereits existierende Biobanken enger miteinander zu vernetzen. So entstand das „Popgen 2.0-Netzwerk - P2N“, in dem bis heute verschiedene große Biobanken an den Standorten Kiel und Borstel organisatorisch und administrativ zusammengeführt wurden. Neben den oben genannten Einrichtungen sind als weitere P2N-Gründungsmitglieder auch die Klinik für Neurochirurgie des UKSH Campus Kiel und die Biobanken des Kieler Zentrums für Familienmedizin (BMB-FAM: Klinik für Kinder- und Jugendmedizin II, Institut für Humangenetik, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Klinik für Kinderkardiologie, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin I) mit verschiedenen Sammlungen beteiligt.
Seit Juli 2017 hat sich die Biomaterialbank der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe vom BMB-FAM Verbund gelöst und ist als BMB-Gyn eigenständige Partner-Biobank im Netzwerk P2N.
Als weitere Partner wurden im P2N-Netzwerk auch eine Biomaterialsammlung der Klinik für Neurologie zusammen mit dem Institut für Klinische Chemie im UKSH (BMB-Enzephalitis) sowie die Biobank des IKMB (Institut für Klinische Molekularbiologie der CAU) hinzu gewonnen.
Seit 2017 wird im UKSH Campus Kiel eine einheitliche Forschungs-Aufklärung und Einwilligung an alle Patienten ausgegeben. Mit dieser Einwilligung können Patienten einer thematisch breiten Forschung mit ihren medizinischen Daten sowie Restproben, die bei klinischen Eingriffen für die diagnostische Routine gewonnen werden, zustimmen. Die Daten und Flüssig-Proben (aus Blutentnahmen), die auf Grundlage dieser Forschungseinwilligung (Broad Consent) in der so genannten UKSH-Kohorte gesammelt werden, verwaltet eine weitere neue Partner-Biobank in P2N, die Healthcare-Embedded Biobank (HEB) der Institute für Klinische Chemie und Klinische Molekularbiologie. Die Organisation der Abgabe von Proben und Daten der UKSH-Kohorte für Forschungsprojekte hat das UKSH an P2N delegiert und dies geschieht, wie bei allen Partner-Biobanken über die P2N-Geschäftsstelle gemäß der Geschäftsordnung.
P2N baut für diese Biobanken eine gemeinsame IT-Infrastruktur auf und entwickelt ein einheitliches Datenmanagement-Konzept, um eine biobankübergreifende Suche nach Daten und Proben zu ermöglichen. Zusätzlich sollen die Prozesse der Probensammlung, -aufarbeitung und -archivierung untereinander abgestimmt und nach einheitlichem Standard dokumentiert werden. Dieses Projekt stellt hohe Ansprüche an die ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Biobanken. Deshalb beschäftigt sich eine eigene Arbeitsgruppe in P2N mit den regulatorischen Vorgaben und Beschränkungen der biomaterialbasierten Forschung in Deutschland.
Für das P2N-Team:
Prof. Dr. med. Wolfgang Lieb, Prof Dr. rer. nat. Michael Krawczak und Dr. rer. nat. Christian Röder