Experimentelle Neuroonkologie

Ziel unserer Forschung ist das bessere Verständnis zellulärer und molekularer Mechanismen des invasiven Wachstums maligner Gliome und der Rezidivbildung. Ein besonderes Interesse gilt der Subpopulation von Tumorzellen, die Eigenschaften von neuralen Stammzellen aufweist und als SLGCs (engl.: stem-like glioma cells) bezeichnet werden. Nach dem Stand der heutigen Forschung reagieren SLGCs im Gegensatz zu Nicht-SLGCs weniger gut auf die Standardtherapie bestehend aus fraktionierter Bestrahlung und adjuvanter Therapie mit Temozolomid und bilden daher den Ausgangspunkt für das Rezidiv. Mehrere Strategien kommen in Betracht, um dieses Problem zu lösen: (i) Selektive Eliminierung von SGLCs; (ii) Erhöhung der Empfindlichkeit von SLGCs gegenüber der Standardtherapie durch geeignete Adjuvantien; (iii) Differenzierung von SLGCs in Therapie-sensitivere Zellderivate. - Außer den in vitro Experimenten mit SLGCs in  serum-freien Kulturen testen wir deren Verhalten in Tumorbiopsien (sogenannte ex vivo-Experimente mit Tumorgewebeschnitten), die vitale SLGCs und Nicht-SLGCs enthalten.

Selektive Eliminierung von SLGCs

Seit 2006 haben wir über 100 SLGC-Kulturen aus humanen Gliomblastom-/Gliosarkom-Geweben angelegt. Diese Kulturen wurden auf die Expression des Pluripotenz- und Transkriptionsfaktors Sox2 untersucht, der entscheidend für den Stammzellcharakter der SLGCs ist. Zusätzlich wird die Expression von Rezeptortyrosinkinasen (EGFR, PDGFR-1 und -2, MERTK, cKit) und Tumorsuppressoren  (PTEN, Tp53) erfasst.  Weiterhin wird die Expression von diversen neuralen (glialen oder neuronalen) Markern in den SLGC-Kulturen analysiert. Ein besonderes Interesse gilt dem transmembranalen Protein CD133/Prominin-1, das als Zelloberflächenprotein für die selektive Targetierung von SLGCs in Frage käme, dessen Bedeutung für maligne Gliome jedoch kontrovers diskutiert wird. Einerseits wird CD133/Prom1 als Marker für Gliomstammzellen angesehen, von dem vermutet wird, dass er kritisch für die Therapie-Resistenz ist und diverse intrazelluläre Signalkaskaden beeinflusst, die ihrerseits das Überleben von SLGCs fördern. Andere Daten hingegen belegen, dass die Gliomstammzelle CD133-negativ ist und erst die weitere Differenzierung in sogenannte Progenitoren zu einer Expression von CD133/Prom-1 führt. Um die potenzielle Bedeutung von CD133/Prom1 für SLGCs zu klären, nutzen wir das CRISPR/Cas-9 System. Mithilfe dieser Technologie haben wir in mehreren SLGC-Linien Mutationen in das Prom1-Gen eingeführt, die zu einer Dysfunktion des CD133/Prom1 führen. Die im Prom1-Gen editierten SLGC-Klone werden auf ihr Wachstumsverhalten, ihre Fähigkeit zur Differenzierung und Therapieresistenz untersucht. Weiterhin wird ermittelt, ob es zur Beeinflussung von Signalkaskaden oder der Migration kommt.    

Erhöhung der Empfindlichkeit von SLGCs gegenüber der Standardtherapie durch geeignete Adjuvantien

Im Zentrum dieser Experimente steht die Frage, ob bekannte Pharmaka als Adjuvantien die Ergebnisse der GBM-Standardtherapie verbessern können. Der Fokus liegt (i) auf dem Malaria-/Rheuma-Medikament Chloroquin sowie (ii) den Fibraten und Glitazonen, die ihre Aktivität über die nukläeren Rezeptoren und Transkriptionsfaktoren PPARa, b/d und g vermitteln. Der Ansatz mit Choroquin beruht auf den Beobachtungen an mexikanischen Kliniken, die darauf hinweisen, dass Chloroquin Gliomzellen für die Wirkung von hoch-energetischen Strahlen und bestimmten Chemotherapeutika sensibilisiert. Wir führen in vitro und ex vivo Experimente durch, um die Wirkung von Chloroquin auf SLGCs und Nicht-SLGCs zu untersuchen. Die Motivation die Wirkung von PPAR-Liganden zu testen, beruht auf der Beobachtung, dass Tumoren aktiv den Kohlenhydrat- und Lipid-Stoffwechsel umstellen und sich hierdurch den Erfordernissen des Tumorwachstums anpassen. Dieser Onko-Metabolismus erlaubt aber nicht nur die ständige Anpassung der Tumoren an veränderte Mikrobedingungen, sondern generiert sogenannte Onko-Metabolite, die wiederum das Tumorwachstum fördern. Die Rezeptoren der PPAR-Familie beeinflussen zahlreiche Stoffwechselvorgänge durch z.B. die Aktivierung der Expression von Stoffwechselenzymen. Zudem werden Fibrate und Glitazone bereits seit Jahren für die Behandlung von Stoffwechselstörungen, z.B. im Kontext des Diabetes Typ II eingesetzt. Für die Analysen nutzen wir wiederum CRISPR-Cas9 editierte SLGCs und nicht-editierte SLGCs.  

Erhöhung der Empfindlichkeit von SLGCs gegenüber der Standard-therapie Differenzierung in Therapie-sensitivere Zellderivate

Im Zentrum dieser Arbeiten steht das Ziel SLGCs, insbesondere Gliomstammzellen, in weiter differenzierte Progenitoren oder Nicht-SLGCs zu konvertieren. Durch die Induktion der Differenzierung würden die SLGCs wesentlich empfindlicher gegenüber der Standard-GBM-Therapie werden. Als Strategien nutzen wir Konzepte und regulierende Faktoren, die aus der Differenzierung von normalen neuralen Stammzellen bekannt sind. Darunter fallen z.B. die Ko-Applikation von zyklischem Adenosin-Monophosphat und Retinoiden. Natürliche Retinoide, wie die Retinsäure binden und aktivieren das Heterodimer bestehend aus dem Retinsäure- (RAR) und dem Retinoid-X-(RXR) Rezeptor. Im Fokus unserer Forschung stehen RAR-abhängige und RAR-unabhängige RXR-regulierte Signalwege. Während RAR-abhängige RXR-Aktivitäten einen primären Einfluss auf Differenzierung und Homöostase haben, beeinflussen einige RAR-unabhängige RXR-gesteuerte Aktivitäten u.a. den Tumor-Metabolismus. So bildet RXR Heterodimere mit den Mitgliedern der PPAR-Familie, deren potenzielle Bedeutung für GBMs bereits im vorherigen Kapitel erläutert wurde. Auch für diese Analysen nutzen wir in vitro-Kulturen von SLGCs und ex vivo Analysen von Tumor-Geweben.

exp_Neurochirugie_1
exp_Neurochirugie_1

Immunozytochemische Analyse von SLGC-Linien T1495 und T1464 mit Editierungen im PPARα, PPARb und/oder PPARg-Gen [Bachelorarbeit Jule Russow, 2021]. - Repräsentative fluoreszenzmikroskopische Aufnahme von editierten Gliomstammzellen (SLGCs) nach einer Immunfärbung mit einem Sox2- [rot] oder CD133-spezifischen Antikörper [grün], sowie Kern­färbung mit DAPI (4′,6-Diamidin-2-phenylindol) [blau]. Die direkt übereinander stehenden Mikrofotographien zeigen identische Regionen, in der oberen Bildreihe wurde jeweils der blaue Kanal weggelassen. - Balken: 50 µm. Sox2: sex determining region Y box 2; CD133, Prominin-1. – Die starke Rotfärbung weist Gliomstammzellen nach, schwächere Rotfärbungen sind typisch für Gliomzellen auf dem Progenitorniveau. Alle Mikrofotographien zeigen deutlich die hierarchische Organisation von SLGC-Kulturen.