Ross-Operation

Aktuell verfügbare Herzklappenprothesen zur Behandlung von Erkrankungen der Aortenklappe sind für Patienten mit gewissen Nachteilen behaftet: Während mechanische Prothesen die lebenslange Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten erfordern, sind biologische Prothesen mit dem Risiko einer fürhzeitigen Degeneration behaftet. Besonders bei jungen Patienten <60 Jahren degenerieren biologische Prothesen relativ schnell. Bei jungen Patienten kann es oftmals sehr schwierig sein, eine Entscheidung für eine dieser beiden Prothesentypen zu fällen.

Die Ross-Operation ist eine bietet eine Möglichkeit die erkrankte Aortenklappe durch die patienteneigene Klappe der Lungenschlagader (sog. Pulmonalklappe) zu ersetzen. Die Pulmonalklappe ist der Aortenklappe vom Aufbau her sehr ähnlich und eignet sich daher besonders gut, um die Funktion der Aortenklappe zu übernehmen. Die Pulmonalklappe wiederum wird ersetzt durch eine Spenderklappe (sog. Homograft).

Möglichkeiten und Grenzen der Ross-Operation

Bei der Ross-Operationen werden die Vorteile der mechanischen und biologischen Prothesen vereint: es muss keine blutverdünnende Medikation eingenommen werden, und die Haltbarkeit dieses Verfahrens ist sehr gut. Somit ist diese Prozedur attraktiv für junge Menschen, die keine Blutverdünnung vertragen oder einen Schwangerschaftswunsch haben. In einer kürzlich veröffentlichten Studie haben wir das Langzeit-Ergebnis nach der Ross-OP untersucht. Hier zeigte sich, dass nach einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 25 Jahren die Sterblichkeit ähnlich war wie die der alters-entsprechenden Normalbevölkerung. Dies konnte bislang weder für mechanische, noch für biologische Prothesen gezeigt werden.

Der Nachteil liegt in der relativen Komplexizität der OP-Technik, da ein Eingriff an zwei Herzklappen erfolgt, obwohl nur eine Klappe erkrankt ist. Im Langzeitverlauf können somit Degenerationen an zwei Klappen auftreten. Das Risiko für eine Re-OP ist jedoch mit ca. 1%/Jahr relativ niedrig. Auch das Risiko für weitere Komplikationen im Langzeitverlauf, wie eine Entzündung der Klappe, eines Schlaganfalls, eine Blutungskomplikation oder einer Klappenthrombose waren sehr niedrig.

Trotz dieser guten Ergebnisse wird die Ross-OP nur an wenigen Zentren in Deutschland angeboten. In Lübeck verfügen wir eine große Erfahrung auf diesem Gebiet und führen die Ross-OP seit über 30 Jahren durch. Die Sterblichkeit nach Ross-OP ist akut aber auch im Langzeitverlauf niedriger als der biologische oder mechanische Aortenklappenersatz. Auf Grund der neuesten Studiendaten erscheint die Ross-OP besonders bei jungen Patienten mit wenig Nebenerkrankungen die Methode der Wahl zu sein.

Nehmen Sie Kontakt mit uns auf, wenn Sie sich für eine Ross-Operation interessieren.

Einleitung

Der Ersatz der Aortenklappe erfolgt in der Mehrheit der Kliniken weltweit durch biologische oder mechanische Klappenprothesen. Alle dieser herkömmlichen Aortenklappenprothesen weisen Probleme wie thrombotische und thromboembolische Ereignisse, Blutungskomplikationen unter Therapie mit Gerinnungshemmern, Klappendegeneration, funktionelle Unzulänglichkeit, Endokarditis (Herzklappenentzündung) und Geräuschentwicklung auf. Als vielversprechende Alternative gewinnt der Ersatz der defekten Aortenklappe durch die körpereigene Lungenschlagader-Klappe (Ross-Operation) für geeignete Patienten zunehmende Bedeutung. Die Vorteile der Ross-Operation bestehen in einer optimalen Hämodynamik bei voller Belastbarkeit des Patienten, einer ausgezeichneten Langzeitfunktion und einem uneingeschränkten Lebensstil mit unproblematischer beruflicher Wiedereingliederung. Eine Antikoagulantientherapie (mit z. B. Marcumar®, Falithrom®, Coumadin®) ist nicht erforderlich. Das Risiko von Endokarditis sowie thromboembolischen Ereignissen ist sehr gering. Trotz der o. g. Vorteile hat die Ross-Operation auch eine Achillesferse. Sie besteht in der möglichen Veränderung des Homografts (der Spender-Herzklappe) im rechtsventrikulären Ausflusstrakt, die als Ersatz für die eigene Lungenschlagader-Klappe (Pulmonalklappe) verwendet wurde. Hier könnte eine zweite Behandlung dieser Klappe notwendig sein. Das Risiko einer zweiter Operation ist trotzdem sehr gering und liegt bei ca. 10% nach 15 Jahren.

Das Herzzentrum in Lübeck ist eines der wenigen Zentren in Deutschland, das dieses Verfahren seit mehr als 30 Jahren durchführen.

Ross-OP_Abb1 Survival estimates and the instantaneous risk of death for the study population (red) were calculated using Kaplan-Meier methods. The age- and gender-matched general population is depicted in blue.

Zentrales Diagramm: aus der aktuellen Veröffentlichung im JACC „Journal of American College of Cardiology“: „Longterm Outcomes of Patients Undergoing the Ross Procedure“; Aboud et al. 2021.

Indikationen und Kontraindikationen

Zur Zeit gilt als generell akzeptierte Indikation die isolierte Aortenklappenerkrankung bei jungen Patienten im Alter zwischen 11 und 60 Jahren. Insbesondere profitieren von dieser Operationsmethode Patienten, die keine gerinnungshemmende Therapie vertragen, aktive Menschen mit sportlichen Ambitionen, Kinder (da die implantierte eigene Pulmonalklappe mitwächst) und Frauen mit Kinderwunsch. Weiterhin scheint sich die Ross-Operation besonders bei einer auf die Aortenklappe begrenzten Endokarditis (Herzklappenentzündung) zu bewähren.

Mit zunehmenden Erkenntnissen erweitert sich in Zentren mit umfangreichen Erfahrungen auch das Indikationsspektrum. So werden in diesen Zentren auch Kombinationseingriffe, Notfalloperationen oder eine erneute Operation nach vorangegangenem Aortenklappenersatz oder -korrektur nach dem Ross-Verfahren durchgeführt. Auch besteht eine Altersgrenze nur noch insoweit, als die Indikation für eine Ross-Operation zurückhaltend gestellt werden sollte, wenn die allgemeine Lebenserwartung mit großer Wahrscheinlichkeit unter derjenigen einer Bioprothese liegt. Neugeborene und aktive Patienten in der 6. Lebensdekade können gleichermaßen von einer Ross-Operation profitieren. Als klare Kontraindikationen gelten anatomische und strukturelle Defekte der Pulmonalklappe, Bindegewebserkrankungen wie zum Beispiel das Marfan-Syndrom, eine schwere koronare Herzkrankheit, ein reduzierter Allgemeinzustand, eine stark eingeschränkte Herzfunktion oder starke Verkalkungen im Bereich der Koronarostien (Abgänge der Herzkranzgefäße) sowie insbesondere aktive Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis. Eine Aortenklappenring-Erweiterung stellt keine Kontraindikation dar, da der Aortenklappenring plastisch auf die gewünschte Größe reduziert werden kann.

Chirurgische Technik

In moderater Perfusionshypothermie von 28 bis 30°C und künstlichem Herzstillstand wird über eine kurze Inzision oberhalb der Kommissuren die Pulmonalklappe auf ihre Verwendungsfähigkeit untersucht. Anschließend erfolgt unter besonderer Berücksichtigung des Koronararterienhauptstammes und des ersten Septumastes des Ramus interventricularis anterior die Exzision der Pulmonalklappe (Abb.1)

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Links: entfernte defekte Herzklappe
Rechts: Autograft (eigene Pulmonalklappe, die als Ersatzklappe Verwendung findet)

Der Einbau der autologen Pulmonalklappe in Aortenposition kann prinzipiell in drei verschiedenen Techniken vorgenommen werden:

Freistehender Aortenwurzelersatz

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Die gesamte Pulmonalklappe inklusive Wandanteilen wird als freie Wurzel verwendet mit Reimplantation der Koronararterien (Herzkranzgefäße) in die Neoaortenwurzel (ursprüngliche Pulmonalklappenwurzel).

Vorteil: relativ einfache Technik, kaum Verziehen der Geometrie durch die Operation
Nachteil: Gefahr der übermäßigen Erweiterung der Pulmonalklappenwurzel durch den Systemdruck im Laufe der Jahre nach der Operation mit dem Risiko einer möglichen erneuten Operation. Dafür benutzen manchen Chirurgen verschiedene Stabilisierungstechniken.

Subkoronartechnik

Ross02

Die körpereigene Pulmonalklappe wird in die Wurzel der eigenen Aortenklappe implantiert, wobei das Pulmonalwandgewebe weitestgehend entfernt wird und die Nähte unterhalb der Herzkranzgefäßabgänge liegen.

Vorteil: keine übermäßige, ungewünschte Erweiterung der Aortenklappenwurzel
Nachteil: etwas kompliziertere Technik

In den letzten Jahren wurde international vornehmlich die Technik der freistehenden Wurzeltransposition angewendet.

In Lübeck bevorzugen wir die ursprüngliche Subkoronartechnik, weil hierdurch die Gefahr der späteren aneurysmatischen Erweiterung der Neoaortenwurzel vermieden werden kann. Größenunterschiede des Pulmonal- und Aortenklappenringes sollten durch Aortenklappenringerweiterungs- und -einengungsplastiken annähernd ausgeglichen werden. Der rechtsventrikuläre Ausflusstrakt wird durch Implantation einer pulmonalen Spenderklappe von ähnlicher Größe wie der Aortenklappenringdurchmesser wiederhergestellt.

Operationszeiten

Die operationsbedingten langen Bypass- und Ischämiezeiten des Herzens bedeuten bei den modernen Perfusionstechniken und Protektionsmöglichkeiten des Myokards keine gravierende Einschränkung für diese Operationsmethode.

Patienten- und Operationsdaten

In einem renommierten kardiologischen Journal (JACC: Journal of American College of Cardiology) haben wir 2021 die Daten der Ross-Patienten veröffentlicht. Dies war durch die Kollektion der Daten von 2.444 Patienten, aus dem in Lübeck vorhandenen Ross-Register möglich. Es handelt sich hierbei um Patienten nationaler und internationaler Herzzentren, die die Ross-Technik einsetzen. Über 600 dieser Patienten wurden in Lübeck in subkoronarer Technik operiert. Die Arbeit zeigte sehr gute Kurz- und Langzeit-Ergebnisse. Die Patienten erhielten postoperativ keine orale Antikoagulantientherapie, sofern keine anderweitigen Indikationen hierfür gegeben waren. Das mittlere Alter der 591 weiblichen und 1.853 männlichen Patienten betrug 44,1±11,7 Jahre. Die 30-Tage Mortalität lag bei 1%, was mit der normalen, traditionellen Klappenoperation vergleichbar ist.

Langzeitergebnisse

Überlebensraten und Komplikationen

Der Vergleich von Langzeitergebnissen nach Aortenklappenersatz ist schwierig. Dieses ist nicht nur bedingt durch die Unterschiede bezüglich der Dauer der Nachbeobachtungszeit, der Demographie der Patienten, der Operationstechnik und des Prothesentyps, sondern auch durch die statistische Darstellung der Ergebnisse. So wird die nach der Methode von Kaplan-Meier bestimmte Langzeitüberlebensrate nach einer Ross-Operation mit 95,4 % nach 10 Jahren, 79,4 % nach 20 Jahren und 75,8% nach 25 Jahren angegeben. Diese Ergebnisse unterscheiden sich statistisch gesehen nicht von der berechneten Überlebensrate der normalen deutschen Bevölkerung. Zum Vergleich hat die Arbeit von Hammermeister und Kollegen eine Überlebenswahrscheinlichkeit nach 15 Jahren von 44 % bei mechanischem Klappenersatz und von 21 % bei Bioprothesenimplantation gezeigt. Allerdings waren bei dieser Arbeit 47,2% der Patienten älter als 60 Jahre. Zusätzlich wiesen Patienten mit mechanischen Herzklappenprothesen eine höhere Rate an Blutungskomplikationen und Thromboembolien auf. Der Langzeitverlauf der Patienten mit Bioprothesen ist dagegen durch häufigeres Klappenversagen mit nachfolgenden Reoperationen gekennzeichnet.

Patienten nach Ross-Operation zeigen eine deutlich niedrigere Komplikationsrate, wobei das Risiko einer Re-Intervention bei der Autograft- oder Homograftdysfunktion im Vordergrund stehen. Die Reoperationsfreiheit hinsichtlich der Autografts beträgt nach 20 Jahren 84 %, diejenige der Homografts nach 20 Jahren 88,9 %. Als hämodynamische Besonderheit der Ross-Operation gilt, dass auch unter Belastung der Druckgradient über dem Autograft - im Gegensatz zu dem bei mechanischen Klappen und Bioprothesen - nicht ansteigt.

Häufig diskutierte Aspekte

Hält die eigene Pulmonalklappe dem höheren Systemdruck stand?

Die häufig diskutierte Frage, ob die aus dem Niederdrucksystem stammende Pulmonalklappe akut dem Systemdruck standhält, konnte bereits in den achtziger Jahren durch die Arbeiten von Gorczynski insofern bejaht werden, als die Pulmonalklappe eine höhere Zugfestigkeit aufweist als die Aortenklappe. Bestätigung finden diese Ergebnisse in der Tatsache, dass die Autografts direkt nach der Implantation nicht zu einer strukturell bedingten akuten Aortenklappeninsuffizienz neigen. Sie weisen in unserer aktuellen Veröffentlichung der Ross-Daten eine stabile Funktion im Langzeitverlauf auf und sind sogar nach 25 Jahren noch funktionstüchtig.

Neo-Aortenklappeninsuffizienzen

Die postoperativen Aortenklappeninsuffizienzen können grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilt werden. Die direkt postoperativ nachweisbaren signifikanten Aortenklappeninsuffizienzen entstehen häufig im Verlauf der Operation. Sie können mit wachsender chirurgischer Erfahrung vermieden werden. Ob triviale Undichtigkeiten funktionell bedingt sind oder durch die unvermeidliche Denervierung der Autografts und damit der Semilunarklappen unterstützt werden, ist noch unklar. Diese frühpostoperativen Insuffizienzen bleiben im Langzeitverlauf meistens stabil. In Einzelfällen kann es auch zu einer Verringerung der Insuffizienzen kommen. Die spätpostoperativen, sich im Langzeitverlauf entwickelnden, Aortenklappeninsuffizienzen sind meistens durch allgemeine pathologische Prozesse, die auch die anderen Herzklappen befallen können, verursacht. Ein besonderes Problem stellen junge Patienten mit akuten Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis dar. Bei ihnen können diese Prozesse auch den Autograft mit der Gefahr der Entwicklung einer Aortenklappeninsuffizienz einbeziehen. Bei Vorliegen oder auch bei Verdacht auf eine derartige Grunderkrankung ist zur Zurückhaltung bei der Indikationsstellung zu raten.

Kann es zu Abstoßungsreaktionen der Spenderklappe kommen?

Der Homograft in der rechtsventrikulären Ausflussbahn besteht aus Fremdgewebe und neigt somit zu Fremdkörperreaktionen. Möglicherweise können diese Vorgänge für die bei einigen Patienten direkt postoperativ auftretenden, anderweitig nicht zu erklärenden Temperaturen verantwortlich sein und Degenerationsprozesse gefolgt von Klappendysfunktionen auslösen. Diese werden zwar im Niederdrucksystem des rechten Ventrikels eher toleriert als in Aortenposition, können aber im Langzeitverlauf zu Reoperationen führen. Die durch Homograftdysfunktion bedingte Reoperationsrate ist selten und beträgt 0,62% pro Patienten-Jahr. Die Verwendung von zollfreien Homografts könnte sogar dieses Risiko noch weiter verkleinern.

In diesem Kontext sind sorgfältige Nachuntersuchungen des Homografts und insbesondere der rechtsventrikulären Funktion wichtig.

Zusammenfassung

Die Ross-Operation gewährleistet bei niedrigem Operationsrisiko einen exzellenten Klappenersatz mit annähernd normaler Funktion und ausgezeichneten Langzeitergebnissen. Ein Re-Operationsrisiko ist vorhanden aber bleibt trotzdem niedrig. Dieses Verfahren bietet eine sehr gute Therapieoption für die Behandlung der Aortenklappenerkrankungen bei jüngeren Patienten.