Eine Besonderheit im UCCSH ist das zusätzlich zu den organspezifischen Tumorkonferenzen eingerichtete Molekulare Tumorboard (MTB). Es kommt zum Tragen, wenn durch eine leitliniengerechte Therapie keine Aussicht auf einen Therapieerfolg besteht. Das gilt insbesondere bei fortgeschrittenen Erkrankungsstadien und für seltene Tumorerkrankungen.
Nach ausführlicher Recherche der individuellen Fälle werden molekularpathologische und genetische Analysen durchgeführt, um prädiktive Biomarker und Zielstrukturen für personalisierte Therapien zu identifizieren. Diese molekulare Betrachtung überwindet das Denken in „Organschubladen“ und macht die Medizin personalisierter. Das Molekulare Tumorboard trägt außerdem zur besseren Erforschung seltener Krebserkrankungen und molekular definierter Subgruppen bei.
Dabei wird auf die Kompetenzen und Ressourcen der verschiedenen Zentren des UCCSH zurückgegriffen. Um auch seltene Entitäten, ungewöhnliche Verläufe, und Patientinnen und Patienten standortübergreifend in ausreichender Tiefe besprechen zu können, findet das Molekulare Tumorboard als eine standortübergreifende Videokonferenz statt. So kann eine breite Beteiligung der unterschiedlichsten Expertisen erreicht werden.
In etwa der Hälfte der Fälle werden genetische Veränderungen identifiziert, aus denen das MTB Therapieempfehlungen ableitet. Die Therapie wird dann mit dem passenden Medikament, das auf die genetische Veränderung abzielt, durchgeführt. Falls ein solches Medikament noch nicht vorhanden ist wird nach einer geeigneten Studie oder einem Medikament gesucht, das für diese Erkrankung noch nicht zugelassen ist, aber den richtigen Wirkstoff enthält („Off Label“-Behandlung). In Einzelfällen erbittet der behandelnde Arzt die Vorab-Nutzung eines Medikaments, das noch nicht zugelassen ist.
Zugang zum Molekularen Tumorboard
Der Zugang zum MTB des UKSH erfolgt über Ihren behandelnden Hämatologen/Onkologen. Wir benötigen für eine Vorstellung lediglich Informationen von Ihrem behandelnden Arzt. Für die Diagnostik benötigen wir Gewebeproben und in der Regel auch Blut oder Speichel. Sollten die Gewebeproben nicht am UKSH vorliegen, werden die extern eingelagerten Proben durch uns angefordert. Gelegentlich kann es notwendig werden, frische Gewebeproben zu entnehmen, wenn die Qualität der gelagerten Proben nicht ausreicht oder spezifischen Veränderungen unter der Therapie nachgegangen werden soll. An den archivierten oder frisch gewonnen Proben erfolgen individualisierte und erweiterte Tests. Die Diagnostik kann erst erfolgen, wenn uns Tumormaterial und Keimbahnkontrolle (Blut oder Speichel) vorliegen.
Die molekulare Diagnostik und die Bewertung der Ergebnisse erfolgt nach standardisierten Vorgehensweisen. Die Testergebnisse werden in unserem MTB-Treffen in einem Kreis von Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen diskutiert.
Falls Therapieempfehlungen abgeleitet werden können, werden konkrete Wege aufgezeigt, wie die empfohlene Therapie umgesetzt werden könnte, zum Beispiel durch Einschluss in klinische Studien oder durch einen Antrag auf Kostenübernahme bei Ihrer Krankenkasse. Für alle Empfehlungen werden sogenannte Evidenzlevel hinterlegt, die Ihrem behandelnden Arzt die Gründe aufzeigen, die zu der Empfehlung geführt haben. Bitte beachten Sie, dass das MTB nur Empfehlungen ausgibt. Die Entscheidung über die Therapie liegt letztendlich bei Ihnen und Ihrem behandelnden Arzt.
Methodenspektrum
Die Auswahl der eingesetzten Diagnostik-Methoden richtet sich nach der klinischen Fragestellung und der individuellen Erkrankungssituation des Patienten. Oft wird die bereits erfolgte feingewebliche Diagnostik durch weitere prädiktive Marker auf Protein-Ebene (Immunhistochemie) oder Gen-Ebene (In-situ-Hybridisierung, FISH, Panelsequenzierung) ergänzt. In vielen Fällen sequenzieren wir den Tumor vollständig auf DNA („whole exome sequencing“) und nach Bedarf auf RNA Ebene („RNA sequencing“). Die Auswertung erfolgt mittels aktueller Methoden der Bioinformatik und in Abstimmung mit Molekularen Tumorboards deutschlandweit. Die Analysepilepine der Sequenzierung ist durch die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik zertifiziert.
Der komplette Überblick über die Tumormutationen erlauben ein tiefergehendes Verständnis in die individuelle Tumorentstehung und die beteiligten zellulären Prozesse. Eine automatisierte Abfrage verschiedener Wissensdatenbanken bezieht die weltweit aktuellsten Forschungs- und Studienergebnisse in die Bewertung des Tumorgenoms mit ein, die von einem Rechercheteam aus Onkologen und Bioinformatikern für jeden Fall eingehend bewertet werden. Damit können bei etwas der Hälfte der Patienten weitere Angriffspunkte für zielgerichtete Therapien vorgeschlagen werden.
Bei ausgewählten Fragestellungen kommen im Einzelfall auch Methoden zum Einsatz, die derzeit hauptsächlich in der Forschung angesiedelt sind. Zum Einsatz kommen: Analysen der in der Blutbahn zirkulierenden Tumor-Zellen oder Tumor-DNA („Liquid Biopsy“), Analysen der DNA-Methylierung und Proteom-Analysen sowie In-vitro-Assays (z.B. Klonierung und Charakterisierung neuer Genvarianten).
Follow-up und Wissenschaft
Im Molekularen Tumorboard kommen innovative Analyse-Techniken zum Einsatz, die ein hochauflösendes Bild der Tumorgenetik und ihres funktionellen Kontexts zeichnen. Im interdisziplinären Austausch werden daraus Schlussfolgerungen für einen individuellen Therapieansatz gezogen, die sich meist im experimentellen Rahmen und außerhalb von Standard-Zulassungen bewegen.
Um aus diesen Daten eine Entscheidungs-Basis für Patientinnen und Patienten des MTB zu schaffen, werden die erarbeiteten Therapieempfehlungen, ihre Umsetzung und das Therapie-Ansprechen systematisch erfasst.
Aus dieser systematischen Übersicht lassen sich Hypothesen für klinische und funktionelle Analysen ausgewählter genomischer Veränderungen und ihrer Therapien ableiten. So wird beispielsweise im Labor in Zelllinien-Modellen analysiert, wie erstmals gefundene Mutationen den Tumor potentiell antreiben könnten und wie empfindlich sie gegenüber zielgerichteten Therapien sind. Darüber hinaus werden für einzelne Patientinnen und Patienten Eigenschaften der Krebszellen in Gewebe- oder Blutproben identifiziert, die eine Teilnahme an klinischen Studien innerhalb und außerhalb des UCCSH ermöglichen. Das Molekulare Tumorboard selbst ist dabei Gegenstand einer anhaltenden wissenschaftlichen Evaluation.
Ausgewählte Publikationen zum Molekularen Tumorboard:
Buechner P, Hinderer M, Unberath P, Metzger P, Boeker M, Acker T, Haller F, Mack E, Nowak D, Paret C, Schanze D, von Bubnoff N, Wagner S, Busch H, Boerries M, Christoph J. Requirements Analysis and Specification for a Molecular Tumor Board Platform Based on cBioPortal. Diagnostics (Basel). 2020 Feb 10;10(2).
Leichsenring J, Horak P, Kreutzfeldt S, Heining C, Christopoulos P, Volckmar AL, Neumann O, Kirchner M, Ploeger C, Budczies J, Heilig CE, Hutter B, Fröhlich M, Uhrig S, Kazdal D, Allgäuer M, Harms A, Rempel E, Lehmann U, Thomas M, Pfarr N, Azoitei N, Bonzheim I, Marienfeld R, Möller P, Werner M, Fend F, Boerries M, von Bubnoff N, Lassmann S, Longerich T, Bitzer M, Seufferlein T, Malek N, Weichert W, Schirmacher P, Penzel R, Endris V, Brors B, Klauschen F, Glimm H, Fröhling S, Stenzinger A. Variant classification in precision oncology. Int J Cancer. 2019 Dec 1;145(11):2996-3010.
Hoefflin H, Geißler A-L, Fritsch R, Claus R, Wehrle J, Metzger P, Reiser M, Mehmed L, Fauth L, Heiland DH, Erbes T, Stock F, Csanadi A, Miething C, Weddeling B, Meiss F, von Bubnoff D, Dierks C, Ge I, Brass V, Heeg S, Schäfer H, Boeker M, Rawluk J, Botzenhart EM, Kayser G, Hettmer S, Busch H, Peters C, Werner M, Duyster J, Brummer T, Boerries M, Lassmann S, von Bubnoff N. Personalized Clinical Decision Making Through Implementation of a Molecular Tumor Board: A German Single-Center Experience. JCO Precision Oncology 2018 :2, 1-16.
Auswahlkriterien und Patienten-Anmeldung
Für eine Vorstellung im Molekularen Tumorboard kommen Patientinnen und Patienten in Frage, die bei einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung alle verfügbaren Standardtherapien durchlaufen haben, oder bei denen keine erfolgversprechenden Therapie-Optionen bestehen. Das gilt insbesondere für seltene Tumorentitäten oder ungewöhnliche Präsentationen. Darüber hinaus können auch Patientinnen und Patienten mit ungewöhnlichen klinischen Verläufen besprochen werden.
Voraussetzung für eine Besprechung ist:
eine Erkrankungssituation, die einer der oben stehenden Kriterien entspricht
ein klinischer Zustand, der den Patienten für eine experimentelle Therapie qualifiziert
eine bereits erfolgte Vorstellung im jeweiligen organbezogenen Tumorboard
Vorliegendes Tumormaterial und Keimbahnkontrolle
Einverständniserklärung der Patientin/ des Patienten
Zur Entscheidungsunterstützung für behandelnde Ärztinnen und Ärzte welche Patientinnen und Patienten von einer Vorstellung im Molekularen Tumorboard profitieren könnten, haben UCCSH-Experten der verschiedenen Fachrichtungen Kriterien zur Einschlussempfehlung im Molekularen Tumorboard entwickelt.
In der Regel sollte eine Empfehlung zur Vorstellung im Molekularen Tumorboard aus einer Entitäten-/ Organspezifischen Tumorkonferenz vorliegen.
Die Anmeldung erfolgt für Patientinnen und Patienten des UKSH im KIS / ORBIS über das entsprechende Anforderungsformular ‚Molekulares Tumorboard‘. Das MTB findet jeweils Freitag um 13.30 Uhr in zwei-wöchentlichem Rhythmus als Campus-übergreifende Videokonferenz statt.
Die aktuellen Termine finden sie unter „Termine Molekulares Tumorboard“. Mit der Anmeldung muss die Einverständniserklärung der Patientin/des Patienten im KIS/Orbis hinterlegt werden.
Anmeldeschluss ist jeweils Mittwoch 12.00 Uhr vor dem nächsten Termin.
Auch externe Patientinnen und Patienten können gerne eingebracht werden. Bitte beachten Sie, dass eine entsprechende Einwilligungserklärung vorliegen muss. Ohne vorliegende Einverständniserklärung kann keine Besprechung im Board und keine erweiterte Molekulardiagnostik erfolgen. Das entsprechende Formular können Sie hier herunterladen.
Information und Einwilligung Vorstellung im MTB/erweiterte Molekulardiagnostik [pdf]
Tumorkonferenz-Anmeldeformular für externe Patientinnen und Patienten [pdf]
Informationen zur Datenverarbeitung für externe Patientinnen und Patienten [pdf]
Sprechstunde „Molekulare Onkologie“
Gerne können sie zur Aufklärung und Blutentnahme auch in die Spezialsprechstunde Molekulare Onkologie am UCCSH in Kiel oder Lübeck kommen. Hier bieten wir auch für die Behandler Termine zur Beratung bei der Interpretation molekulardiagnostischer Befunde an. Nach Therapieempfehlung durch das Molekulare Tumorboard unterstützen wir selbstverständlich gern in der Umsetzung (Kostenübernahmeanträge etc.)
Termine Molekulares Tumorboard
Das Molekulare Tumorboard findet jeweils Freitag um 13.30 Uhr in zwei-wöchentlichem Rhythmus als Campus-übergreifende Videokonferenz statt. Räume für eine lokale Teilnahme:
Campus Lübeck:
Haus A, Konferenzraum Norderney 2
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
Campus Kiel:
virtuell
Anmeldeschluss für das Molekulare Tumorboard ist jeweils Mittwoch 12.00 Uhr vor dem nächsten Termin. Die nächsten Termine sind:
November: 10.11.2023 | 24.11.2023
Dezember: 08.12.2023 | 22.12.2023
Januar: 12.01.2024 | 19.01.2024
Februar: 02.02.2024 | 16.02.2024
März: 01.03.2024 | 15.03.2024 |22.03.2024
April: 12.04.2024 | 26.04.2024
Mai: 10.05.2024 | 24.05.2024
Juni: 07.06.2024 | 14.06.2024 | 21.06.2024 | 28.06.2024
Juli: 05.07.2024 | 12.07.2024 | 19.07.2024
August: 02.08.2024 | 16.08.2024 | 30.08.2024
September: 13.09.2024 | 27.09.2024
Oktober: 11.10.2024 | 25.10.2024
November: 08.11.2024 |22.11.2024
Dezember: 06.12.2024 | 20.12.2024
Weiterführende Informationen
Aktuelle Informationen zu Selbsthilfegruppen, Kursen und Veranstaltungen finden sie auf der Webseite der Schleswig-Holsteinischen Krebsgesellschaft
Mitwirkende
MTB-Leitung
Rechercheteam
Mohammed Ahmed
Pathologie
Systembiologie
Humangenetik
Administration Präzisionsonkologie
Molekulares Tumorboard – Vorträge für Fachpublikum
10 Relevanz von Genfusionen bei soliden Tumoren
Dr. med. Lorenz Bastian
Arzt/wissenschaftlicher Mitarbeiter, Klinik für Innere Medizin
II mit den Schwerpunkten Hämatologie und Onkologie, UKSH,
Campus Kiel
Künstliche Intelligenz – Freund oder Feind in der Pathologie
Prof. Dr. med. Wolfram Klapper
Sektionsleitung, Sektion Hämatopathologie und Lymphknotenregister (LKR-Kiel), Institut für Pathologie, UKSH, Campus Kiel
Tumor Epigenomes in Liquid Biopsies
Prof. Dr. rer. nat. Holger Sültmann
Krebsgenomforschung, Deutsches Krebsforschungszentrum
und Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
Standortbestimmung CART-Zell-Therapie
Prof. Dr. med. Claudia Baldus
Direktorin, Klinik für Innere Medizin II mit den Schwerpunkten
Hämatologie und Onkologie, UKSH, Campus Kiel; Leitung
Universitäres Cancer Center Schleswig-Holstein